Post by b***@googlemail.comÜbrigens haben mich die Smalltalk-Dialoge nicht so sehr genervt wie
diese pedantische Katalogisierung aller Erfrischungsgetränke,
Schokoladensorten, Fahrradmarken und aller sonstigen Waren und Dinge,
die es in der DDR gegeben hat, bis hin zu den Bezeichnungen von
Straßenbahnwagen und -sorten.
Warum sollte es Product-Placement nur in Filmen geben, und nicht auch in
Büchern? Das ließe sich freilich nur bei solchen östlichen Waren
vermuten, die es immer noch gibt, wie die Halloren-Kugeln. Denen wird
zwar mitunter ein etwas veränderter Geschmack nachgesagt, aber das mag
subjektive Täuschung sein, weil früher das gesamte DDR-Ambiente mitwirkte.
Möglicherweise spekulierte Tellkamp aber einfach darauf, an den Erfolg
jener Memoirenschreiberin anzuknüpfen, die, 1989 dreizehnjährig, ein
Jahrzehnt darauf die ganze Pittiplatschigkeit ihres Daseins als
"Zonenkind" in ebenso gefühlvoller wie wortreicher Buchform ausbreitete.
Zwar hatte ihr bereits vorher jemand völlig zu Recht davon abgeraten,
wie sie selbst zu erzählen weiß:
"Als ich Ende der neunziger Jahre meinen Kommilitonen Jan auf der
Kreuzberger Spreeseite, gleich hinter dem ehemaligen Grenzübergang
Oberbaumbrücke besuchte – ich musste nur die Warschauer Straße bis an
ihr Ende fahren, dann war ich schon drüben –, erzählte ich ihm
aufgeregt, ich sei sehr erleichtert, denn man habe mich trotz der
Dunkelheit und des Nebels tatsächlich auf die andere Spreeseite
rübergelassen. Das müsse man sich mal vorstellen: Obwohl meine
Vorderlampe nicht ging und ich nur ein kleines Licht an der Hosentasche
trug, habe mich niemand angehalten und nach dem Inhalt meines Rucksackes
gefragt. Ich könne es noch gar nicht richtig glauben, das also sei mein
erster Grenzübertritt mit dem Fahrrad gewesen. Jan sah mich genervt an.
Sein Gesicht verriet, dass er wirklich keine Lust hatte, auf meine
blödsinnigen Geschichten einzusteigen. Witzig fand er das auch nicht."
Dem konnte ich schon an dieser Stelle (S. 42-43) zustimmen. Gleichwohl
habe ich mir noch den ganzen Rest angetan, jedoch ohne meine Meinung
revidieren zu müssen. Vielmehr hat mich dieses in unerträglicher
Redundanz narzisstisch mäandernde Gelaber so sehr verdrossen, dass mich
der Gedanke daran, dass auch die Autorin nunmehr bei Zugfahrten auf ihre
geliebten Glimmstengel verzichten muss, mit einer gewissen Genugtuung
erfüllt. Den besonderen Vorzug ihres Grenzgängertums hat sie nämlich so
erläutert:
"Wir dagegen, auch wenn wir nirgendwo ganz dazugehören, teilen mit fast
allen ein bisschen, irgendein Lebenspartikelchen, was den
unbestreitbaren und vielfach nützlichen Vorteil hat, dass man im
ICE-Bistro mit vielen Leuten eine Zigarette rauchen kann." (S.158-159)
Allerdings weist sie zum Schluss stolz darauf hin, inzwischen mit dem
Auto über die Oberbaumrücke zu fahren. Damit kann sie dann ja auch
weitere Reisen unternehmen, und es auf ekligste verqualmen.
Mfg
CH